Das Druck- und Verlagshaus „Franzen und Grosse“ in Stendal – Vortrag von Agnes Kunze
Dass die Geschichte eines heute fast (!) vergessenen Verlages in der Altmark interessant und kurzweilig ist, dazu noch Anstoß für eine weitergehende Beschäftigung mit diesem Thema sein kann, zeigte Agnes Kunze am 17. April im Literaturhaus Magdeburg. Die Leiterin der Bibliothek des Winckelmann-Museums in Stendal war auf Einladung der Magdeburger Pirckheimer in die Landeshauptstadt gereist, um in ihrem Vortrag die Geschichte des Druck- und Verlagshauses „Franzen und Grosse“ lebendig werden zu lassen. Dieses hatte seinen Sitz in Stendal. Den Anfang markierte eine Hochzeit: 1755 heiratete Daniel Christian Franzen die Buchdrucker-Witwe Elisabeth am Ende und übernahm somit das Geschäft. 1776 erhielt Franzen das Buchhändlerprivileg – sein Geschäft erweiterte sich damit wesentlich über das Drucken hinaus. Allerdings trat er das Privileg nur vier Jahre später an Johann Christian Grosse ab. Druck und Handel blieben praktisch vereint, quasi in der Familie, da Johann Christian Grosse ein Jahr zuvor sein Schwiegersohn geworden war. Für Franzen war diese Verbindung offensichtlich aus unternehmerischer Sicht sehr vorteilhaft. Grosse habe den Verlag auf einen wirklichen Erfolgskurs gebracht, so die Einschätzung von Agnes Kunze. Der Produktionsumfang rangierte im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts direkt hinter den großen preußischen Verlagen in Berlin, Halle und Breslau. Für sie sei es „bewundernswert“, so Kunze, dass in einer so kleinen Stadt wie Stendal, die Anfang des 19. Jahrhunderts „4.444 bürgerliche Einwohner und eine Garnision von 786 Mann“ zählte, ein so erfolgreiches Verlagsunternehmen aufgebaut werden konnte. Die Geschichte des Druck- und Verlagshauses „Franzen und Grosse“ endete Anfang des 20. Jahrhunderts.
Fast eineinhalb Stunden sprach Agnes Kunze darüber, wie sich das Unternehmen entwickelt hat, welche Höhen und Tiefen es überstehen musste, wo es mit dem Zeitgeist schwamm und wo dagegen. Bestand das Hauptgeschäft anfänglich in den Drucken von Akzidenzdrucken, den Leichenpredigten, erweiterte sich das Profil vor allem auf Drucke zu medizinischen, wissenschaftlichen, pädagogischen und rechtlichen Themen. Im Unterschied zu vielen anderen Verlagshäusern hätten Franzen und Grosse aber nie Romane herausgebracht, obwohl sich diese einer wachsender Beliebtheit erfreuten und sie einen wachsenden Markt darstellten. Trotzdem nutzten Franzen und Grosse auch „Modeerscheinungen“ des damaligen Lesegeschmacks, wie die Herausgabe des Werkes „Betrachtungen über die drohendsten Gefahren der weiblichen Jugend für nachdenkende Töchter / von einer erfahrenen Mutter“ zeigt.
Immer wieder stellte Agnes Kunze die Entwicklung des Unternehmens in einen überregionalen Kontext, zeigte auf, welche erfolgreichen Netzwerker Franzen und Grosse waren, wie sie effektiv Werbe- und Marketingmaßnahmen nutzten und sich beispielsweise durch die Teilnahme an der Leipziger Messe neue Vetriebswege erschlossen. Dank vielfältiger geschäftlicher und privater Verbindungen tauchten einige namhafte Persönlichkeiten im Netzwerk von Franzen und Grosse auf wie Georg Christoph Lichtenberg, Johann Christian Dieterich (Begründer der Dieterichschen Verlagsbuchhandlung, die heute ihren Sitz in Mainz hat), der für die Altmark zuständige Generalsuperintendent Johann Friedrich Hähn oder Samuel Gottlieb Vogel, britischer Hofmedicus und ordentlicher Professor an der Universität Rostock, der als Autor für Franzen und Grosse unter anderem 1794 das Buch „Über den Nutzen und Gebrauch der Seebäder. Nebst der Ankündigung einer öffentlichen Seebadeanstalt, welche an der Ostsee in Mecklenburg angelegt wird“ verfasst hatte.
Gerade für den Bibliophilen von Interesse wies Agnes Kunze auf ausgewählte Werke hin, die bei Franzen und Grosse erschienen sind wie der Druck des „Codex Diplomaticus Brandenburgensis“ 1775 oder Homers „Ilias“ von Caspar Christoph Konrad Brohm, die 1786 erschienen war, ausgestattet mit Initialen, Zierleisten und Vignetten.
So lernten die Gäste des Abends viel Neues aus rund 150 Jahren Druck- und Verlagsgeschichte nicht nur der Altmark kennen. So wissen sie jetzt beispielsweise, was Pränumerantenlisten sind und welche wichtige Rolle sie für den wirtschaftlichen Erfolg von Franzen und Grosse gespielt haben – unter anderem nachzuvollziehen am Beispiel des Verkaufs des „Diätischen und ökonomischen Kochbuchs“, publiziert von Johann Jacob Heinrich Bücking.
Wer das noch nicht wusste, aber wissen will, was es mit den Pränumerantenlisten auf sich hat, sollte einen Blick in den Katalog „Buch-Geschichten. 500 Jahre Drucker, Verleger und Bibliotheken in Stendal“ werfen, in dem auch die Druck- und Verlagsanstalt „Franzen und Grosse“ eine Rolle spielt. Der Katalog erschien 2007 anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Winckelmann-Museum Stendal.
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Agnes Kunze, Eva Hofstetter, Jürgen Dummer u.a.:
Buch-Geschichten. 500 Jahre Drucker, Verleger und Bibliotheken in Stendal.
Hrsg. im Auftrag der Winckelmann-Gesellschaft von Max Kunze Stendal
Verlag Franz Philipp Rutzen
Ruhpolding und Mainz 2007.
148 Seiten, 59 Abbildungen.
ISBN 3-938646-28-1
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