»Die Kunst des Sammelns« war das beherrschende Thema des Abends, zu dem die Magdeburger Pirckheimer am 17. Mai 2023 in das Literaturhaus der Landeshauptstadt eingeladen hatten. Als Gesprächspartner begrüßte Vereinsvorsitzende Sigrid Wege den aus Berlin angereisten Künstler Hartmut Robert Andryczuk. Seine Ausführungen schöpften vor allem aus zwei Quellen. Zum einen hat sich Andryczuk zum Thema »Die Kunst des Sammelns« mit verschiedenen Sammlern unterhalten, diese Gespräche aufgezeichnet, später transkribiert und die so entstandenen Texte in einer Buchreihe in seinem Hybriden-Verlag veröffentlicht. Zum anderen sind das keine »normalen« Bände, die er herausgibt. Es sind selbst Künstlerbücher, in der Regel in einer Auflage von 30 Exemplaren und versehen beispielsweise mit Originalzeichnungen oder Handschriftlichem von Hartmut Robert Andryczuk. Und sie sind selbt zu Sammelobjekten geworden.
Begonnen hat Andryczuk die Reihe im Jahr 2015 mit einem Gespräch mit dem Sammler Gerhart Odenwald. Ihm folgten als Gesprächspartner in den nächsten Büchern Wulf D. von Lucius, Peter Zitzmann, Helmut Mayer, die niederländischen Sammler Serge Stommels & Albert Lemmens. Danach kamen Jens Henkel aus dem thüringischen Rudolstadt und Hubert Kretschmer zu Wort. In seinem jüngsten Band, erschienen 2022, hat Andryczuk sein Gespräch mit Michael Lailach, Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Staatlichen Museen zu Berlin und Leiter der Sammlung Buchkunst in der Kunstbibliothek, veröffentlicht.
Dass der Erfolg des Sammelns nicht nur von persönlichen Vorlieben und finanziellen Möglichkeiten, von Optionen für eine sachgerechte Unterbringung und optimalerweise fundierte Aufbereitung einer Sammlung abhängt, sondern auch von den aktuellen Zeitumständen, führte Andryczuk am Beispiel der Sammler Serge Stommels und Albert Lemmens vor Augen. Beide niederländischen Sammler haben eine der umfangreichsten Sammlungen russischer Künstlerbücher. Beide seien oft Russland unterwegs gewesen, um den direkten Kontakt zu den Künstlern vor Ort zu pflegen und neue Stücke zu erwerben, um ihre Sammlung zu vervollständigen. Angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine könne man davon ausgehen, so Andryczuk, dass die Sammeltätigkeit der beiden nahezu zum Erliegen gekommen ist.
Andryczuk hatte nicht nur Beispiele seiner Künstlerbücher aus der Reihe »Die Kunst de Sammelns« mitgebracht. Mit »THINK TANK PANZERHAUBITZE KLING KLING« zeigte Andryczuk ein Werk, dass er im September vergangenen Jahres herausgebracht hat, und das seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine ist. Es besteht aus einem Leporello mit 17 Originalzeichnungen und einem Katalog mit 48 Seiten, Texten, Abbildungen. Ausgangspunkt für das Buch sei ein text gewesen, den er auf der Website des Kremels gefunden habe, in dem es um die »historische Einheit von Russen und Ukrainern« geht. Andryczuk: Großartig. Ein richtiger idenditärer Schwurbel-Text, den ich für diese Künstleredition sehr gut verwenden konnte. Dort wird die Nationalisten-Karte gezogen, die historische Einheit aller Russen beschworen. Russland ist seit Jahren in einem heiligen Krieg gegen „Gayropa“. Glaube, Vaterland, Familie, ewige Werte, Orthodoxie. Männer sind noch richtige Männer und Frauen noch wahre Frauen. Bringt mich das Selenskij oder den Nationalismus der Ukrainer näher? Nein, natürlich nicht. Aber ich unterstelle den Menschen in der Ukraine, dass sie dieses „russische“ System nicht mehr wollen. Und was mich angeht: Ich lebe lieber im satanischen Westen als in einem idenditären Mafia-Imperium.«
Wie weit sich der Bogen dieses Abend spannte wurde in der Diskussion mit dem Publikum deutlich, als die Frage nach dem Verbleib einer Sammlung auftauchte, wenn der Sammler seiner Leidenschaft nicht weiter frönen will oder kann. Soll sie geschlossen erhalten bleiben? Oder ist es besser, sie wieder in den Kreislauf zu bringen und damit jungen Sammlern die Möglichkeit zu geben, eine eigene Sammlung aufzubauen. Freuen sich die Kinder, die Sammlung zu erben, oder ist es für sie eher eine Last? Findet sich ein Museum, das die Sammlung übernimmt und dabei nicht nur im Archiv aufbewahrt, sondern sie auch der Öffentlichkeit zugänglich macht? Fragen über Fragen. Eine endgültige Antwort lieferte der Abend nicht, aber die Gewissheit, dass es auf diese Frage keine einheitliche, für manche auch gar keine Antwort gibt. Zumindest keine zufriedenstellende.
Zufrieden waren allerdings die Gäste des Abends, als sie nach gut zwei Stunden Hartmut Robert Andryczuk mit Beifall nach Berlin verabschiedeten, das Literaturhaus verließen, um sich vielleicht weiter der eigenen Sammelleidenschaft zu widmen.